Lernen vom Froschspringer und von der Gräfin

Den Namen Jan Böklov kennen wahrscheinlich die wenigsten. Macht nichts, das wäre ihm selbst wahrscheinlich auch nicht so wichtig gewesen und darum geht es auch nicht unbedingt. Sondern darum, wie Böklov zuerst aus Versehen zum Froschspringer und dann aus Überzeugung zum Regelbrecher wurde. Genauso, wie die Gräfin, die durch die Luft flog und nach ihr viele Frauen. Und was wir daraus lernen können.

[blockquote][blockquote]Es gab eine Zeit, da dachte man der Mensch würde einen 100-Meter-Sprung nicht überleben. Die gleiche Skepsis gab es noch bei der 200-Meter-Grenze vor einigen Jahren. Aktuell nähern wir uns der Überschreitung von 250 Metern.[/blockquote]

Skispringer hielten früher ihre Skier parallel, während sie von der Schanze absprangen. Zum einen galt die Einschätzung, das wäre sicherer für den Flug, zum anderen sprachen ästhetische Gründe dafür. Wenn die Skier nicht akkurat nebeneinander in der Luft lagen, gab es Punktabzug. 

[blockquote] Im Sommertraining 1985 im schwedischen Falun, machte der Skispringer Jan Böklov einen folgenschweren Fehler. Der Wind blies ihm entgegen, deswegen schob Böklov seinen Oberkörper weiter als üblich nach vorne. [/blockquote]  

Plötzlich wurden seine Ski weit auseinander gerissen. Er sprang 20 Meter weiter als je zuvor. Heute weiss man, dass sich der Auftrieb in der Luft in dieser sogenannten V-Haltung verdoppelt. Allerdings mussten die Springer in dieser Körperhaltung – im Vergleich zur alten Technik – quasi einen Salto vorwärts einleiten und sozusagen gefühlt ins Nichts hineinspringen. 

Böklov, ein sowieso schon eigensinniger, aber auch wohl unscheinbarer junger Schwede, und eher mittelmäßiger Springer, wagte es, seine neue Sprungtechnik nun auch im Wettkampf einzusetzen. Verboten war es nicht, aber die Kampfrichter bestraften ihn mit heftigem Punktabzug bei den Haltungsnoten.

[blockquote]Außerdem wurde er mit Häme überschüttet. Sogar von Stadionsprechern wurde er als Froschspringer angekündigt und viele andere Athleten lachten über ihn. Offenbar war dies Böklov egal. [/blockquote]    

Er sprang unbeirrt weiter, und andere begannen ihm in der neuen Technik zu folgen. Er hatte seine wenigen Jahre an der Spitze und außerdem seine kleine Revolution. Er hat eine neue Technik entstehen lassen. Diese etablierte sich schliesslich innerhalb weniger Jahre, ähnlich wie im Hochsprung der Fosbury-Flop. 

[blockquote][blockquote]Erst dachte man, der Mensch könnte gar nicht so weit fliegen. Dann versuchte man den V-Stil aufzuhalten. Schließlich behauptete man sogar, Frauenkörper wurden diese Sprünge nicht aushalten. Aber der V-Stil setzte sich durch. Und auch das Frauenspringen. [/blockquote]

Als die Gräfin durch die Luft flog

22 Meter sprang die Gräfin Paula von Lamberg, als eine der ersten bekannten Skispringerinnen. Das war 1911. Und es gab und gibt nach ihr sehr viele Frauen, die von den Schanzen sprangen. 

Obwohl sie oft mit den Männern trainierten, waren sie nicht selten von Wettkämpfen ausgeschlossen, zumal eigene Frauenwettkämpfe kaum veranstaltet wurden.

[blockquote] Noch in den 1990ern wurde u.a. vom Generalsektretärs des internationalen Skiverbands, weiterhin behauptet, dass die weibliche Wirbelsäule und die Gebärmutter durch Sprung und Landung großen Schaden nähmen.  

Die Skispringerinnen liessen sich aber nicht aufhalten, obwohl es wenig Wettkämpfe und immer wieder Querelen um Schanzengrößen, Anlauflänge, Verletzungsrisiken gab. Insgesamt also die üblichen Kämpfe auf dem Weg zur Professionalisierung einer Sportart – unter dem besonderen Vorzeichen des „anderen Geschlechts“. 

Immerhin gibt es seit einigen Jahren Weltmeisterschaften und Olympische Spiele Frauenskisprung. 

[blockquote] Aber von der Großschanze springen Frauen allerdings offiziell überhaupt erst seit 2021!    

Ich finde – Mädels springt weiter, springt so weit ihr könnt und noch weiter, und bringt eure kleinen Schwestern und Freundinnen mit und alle anderen sowieso auch! Und rockt in Zukunft eine Vierschanzentournee.  Denn diese steht noch aus. 

Lernen von den Regelbrecher*innen

Und lasst uns überlegen, was wir von diesen Skispringerinnen und von einem Typen wie Böklov lernen können. Ich glaube eine ganze Menge.   

Oft lohnt es sich einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. 

Als Beispiel für etwas sehr Wichtiges habe ich hier das Skispringen genommen, um zu zeigen, dass etwas, was wir als Grenze sehen, nicht so fest oder so gegeben ist, wie es scheint.  

[blockquote]Dass was wir heut manchmal als unüberwindbar betrachten, ist veränderlich und wie alles auf der Welt im Fluss und beweglicher als wir glauben. Vergessen wir nie, dass wir Grenzen verschieben können. [/blockquote]

So wie der Froschspringer und die Gräfin, die durch die Luft flog.