
Tromsø, Dunkelheit und unser Zukunftsmindset
- Posted by Alice Rombach
- On 26. Oktober 2022
- Dunkelheit, Mindset, Tromsö
Was das Tromsø-Phänomen ist und was Dunkelheit mit der Zukunft zu tun hat. Was Dein Mindset damit zu tun hat. Und was wir von denen lernen können, die im hohen Norden leben.
In wenigen Tagen ist Zeitumstellung. Was verbindet Dunkelheit mit Zukunft?
Es geht mir hier um das Tromsø-Phänomen. Und darum, wie es für mich war, in dieser Stadt nördlich des Polarkreises in Norwegen zu leben. Und was das alles vielleicht mit Deiner näheren Zukunft zu tun hat.
Ganz besonders wichtig ist es mir, darüber genau jetzt, in diesem Herbst, zu schreiben. Wir sind immer noch in einem Pandemie-Kontext, Ängste und Befürchtungen umgeben uns und machen uns beklommen. Außerdem können wir uns wahrscheinlich noch bis Weihnachten auf Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung einstellen. Dies alles trägt dazu bei, dass unser Gemüt und unsere Geduld zusätzlich strapaziert werden.
Als ich dort gelebt habe, habe ich einmal als kreative Produzentin den Dreh eines Kurzfilms geleitet. Wir hatten nur Außendrehs in den Fjorden und Bergen. Irgendwann im Mai beschlossen mein Team und ich nur noch nachts zu drehen, weil wir ungestörter waren und das Licht irgendwie gleichmäßiger.
Das ist die eine Seite. Aber auch während der dunklen Zeit davor, als ich als verantwortlich war für die Kommunikation und die Vorbereitung der Expeditonstouren eines der größten Hundeschlitten-Outdoorunternehmens in Nordeuropa, waren wir sehr viel draussen unterwegs.
Tromsø liegt ca 350 Kilometer nördlich des Polarkreises, hat knapp 80.000 Einwohner*innen und verbucht alle nördlichen zivilisatorischen Superlative der Welt. Von der nördlichsten Brauerei bis hin zur nördlichsten Universität. Aufgrund des Golfstrom ist das Leben in Nordeuropa in diesen Breitengraden möglich. In Nordamerika findet sich in gleicher Höhe kaum Zivilisation.
Unsere Erwartungen und Geschichten – Mindset entscheidet –
Wie schaffen es die Menschen, die im Hohen Norden leben, im Winter nicht depressiv zu werden, fragen sich viele, mit denen ich immer wieder über das Leben in der Arktis sprach. Kari Leibowitz, eine junge Stanford-Psychologin verbrachte vor einigen Jahren den Winter in Tromsø, um genau dies zu untersuchen. Sie verwendete dabei als Grundlage die Erkenntnisse von der Psychologie-Professorin Alia Crum, die heute u.a. auch als Fixed und Growth Mindsets bekannt geworden sind.
In Tromsø wird die Winterzeit überraschenderweise gar nicht als Problem angesehen. Nicht einmal unbedingt als Zeit ohne Licht. Vielmehr wird sie als die „Zeit des anderen Lichts“ von den dort lebenden Menschen empfunden. Die Monate des sogenannten nautischen Zwielichts – wenn die Sonne sich nicht mehr über einen bestimmten Punkt im Meer erhebt – ist alles andere als pechschwarz. Tatsächlich eröffnet sich ein magisches Spiel mit einem ganzen Spektrum an rötlichen und bläulichen Pastelltönen. Der Himmel wird in ein zartes Bunt gefärbt, das es nur in dieser Zeit und in diesem Breitengraden gibt.
Nachts geistern dann auch noch ab und zu die Nordlichter hellgrün bis violett und werfen riesige Muster /Figuren in die Dunkelheit.
Moderner Lebertran und ein internationales Filmfestival im Schnee
Dennoch mangelt es dem Körper während dieser „Mørketid“ (der dunklen Zeit) an dem durch direkte Sonneneinstrahlung hergestellten Vitamin A. Abhilfe schaffen können Wärmelampen und moderner Lebertran. Deswegen stellen viele zuhause abends UV/Wärmelampen an. Schon ab Herbst werden Strassen, Cafés, Restaurants, Kinos und öffentliche Gebäuden mit warmen Lichtern, Kerzen und gemütlicher Dekorationen erhellt. Außerdem substituieren viele Nordländerinnen mit Vitamin A in Pastillenform – die moderne Form des Lebertrans – die an jeder Supermarktkasse zu finden sind. Viel Dorsch essen hilft auch – „in cod we trust“ ist die generelle Devise im Hohen Norden. Norwegen war bevor es in den 1970ern durch Öl großen Wohlstand erreichte, ein Land des Fischfangs.
Es gibt unzählige Vereine, die ganz besonders in dieser Zeit sehr aktiv werden und viele Aufführungen und andere soziale Aktivitäten organisieren. Außerdem werden viele Strecken auf Skiern zurückgelegt – auch mal in der Mittagspause. Und es wird gefeiert. Das Feuer. Das Leben. Im Januar findet ein wunderbares großes internationales Filmfestival- zum Teil auch draussen – statt.
Die Zeit des anderen Lichts
Es wirkt so, als ob die Menschen ganz im Hohen Norden uns zeigen könnten – wie wir der Dunkelheit begegnen könnten. Es scheint von unserem Mindset abzuhängen – einzelnen und kollektiven – von unserer inneren Haltung, wie wir dem Herbst und Winter begegnen.
Und warum auch sollten wir Furcht vor der Dunkelheit haben?
Der Herbst und Winter ist schöner mit guter Beleuchtung, mit Ausflügen in der Natur, mit Schnee und vor allem zusammen mit anderen entspannten Menschen.
Das meiste davon können wir uns selbst erschaffen. Wenn wir uns dafür entscheiden.
Im Kern ist es das, was das Tromsø-Phänomen uns erzählt. Weil wir uns dadurch Freiheit verschaffen.
Mit einem Mindset, das sich selber kreiert und sich für die Möglichkeiten des Schönen und Gestalterischen entscheidet.
(Mit Unterstützung von richtiger Kleidung, guter Beleuchtung und vielleicht noch einer Vitamin-A-Tablette )
Aufgelöste Grenzen
Für mich gehört zum Tromsø-Phänomen aber auch noch etwas anders Entscheidendes. Tromsø liegt an der Peripherie, ist aber im Gegensatz zu manch anderer Regionen in diesem Breitengrad / oder auch Orten im Inland, historisch immer ein „Melting Pot“ gewesen. Als Tor der Arktis war dieser Ort Startpunkt vieler Polarexpeditionen, heute gibt es viele Forschungsinstitute, auch eine Kunstuniversität.
Lasst uns auch das mitnehmen von den Menschen, die in Tromsø leben.
Vielleicht ist es genau diese Neugier und offene Haltung die es ihnen ermöglicht sich einen guten Winter zu machen und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen.